Sonntag, 6. April 2014

15 Werke gegen Kunstfrigidität


In der gestrigen Ausgabe von "Das Magazin" schreibt Kolumnistin Michèle Roten über Kunst, beziehungsweise über Kunstfrigidität. Denn Bilder, Skulpturen & Co. vermögen zwar das Interesse der Autorin zu wecken, berühren sie jedoch nicht in jenem Ausmass, wie es Musik oder Filme schaffen.
Frau Roten ruft auf, man möge sich bei ihr melden und versuchen, ihr zu künstlerischer "Erregung" zu verhelfen. Challenge accepted! Wir präsentieren an dieser Stelle 15 Kunstwerke/Kunstmomente, die uns zum Weinen, Lachen, Schämen, Nachdenken oder Rasen gebracht haben und hoffen, dass der Funke überspringt.

1. Beginnen wir mit der schönsten Skulptur der Welt: Die Percy-Statue von Edward Onslow Ford befindet sich im Hauptgebäude der University of Oxford und ist für die Öffentlichkeit leider nicht zugänglich (beziehungsweise nur, wenn man etwas Kultussen-Charme spielen lässt). Sie zeigt den Poeten tot, angeschwemmt, nachdem er 1822 im Mittelmeer ertrank. Dabei wirkt sein Körper so zart und in sich ruhend, als habe sich Shelley nur kurz hingelegt. Ein Kunstwerk, vor dem die Kultusse in Tränen ausbrach (Echt jetzt! Aber zugegeben, das lag vor allem daran).


2. Das beklemmende Gefühl, das sich beim Schauen von Tracey Moffatts "Night Cries: A Rural Tragedy" einschleicht, können wir nur schwer aushalten. Im Kunstfilm von 1989 thematisiert die Australierin die Zwangsadoption von Aborigines-Kindern. Eine Arbeit, die wir einmal gesehen nie wieder vergessen haben. Und deren Tonebene uns noch heute Gänsehaut beschert:


3. Einfach zauberhaft, der Wunderweltenvorhang "Giradino calante", eine Installation in der Kirche San Stae während der Biennale Venedig 2003 des Schweizer Duos Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger. Ein Werk, unter dem es sich herrlich träumen liess und an dem man sich nicht satt sehen konnte (bzw. solange, bis der Ausstellungsraum geschlossen wurde):

(Bild: steinerlenzlinger.ch)

4. Lachen mit (oder wahlweise über) Kirstin Dunst in diesem Video des japanischen Pop-Art-Künstlers Takashi Murakami:


5. Uns stockte der Atem, als wir das erste Mal Ana Mendietas "Untitled (Rape Scene)"-Aufnahmen sahen. Auf dem Campus der Künstlerin in Iowa wurde 1973 eine Frau vergewaltigt und getötet. Als Reaktion darauf führte Mendieta vor ihren Kommilitonen eine Performance auf, die fotografisch dokumentiert wurde. Und die uns mit ihrer Direktheit immer wieder erschüttert:

(Bild: thepandorian.com)

6. Sinnlichtkeit pur. Selten wurde das viel interpretierte Sujet des toten Christus so profan umgesetzt wie beim Berner Maler Karl Stauffer-Bern. Das Beeindruckendste an diesem Gemälde: Die Haut des toten Leibes wirkt so plastisch, als läge wahrhaftig ein Körper im Museumsraum. Ein Bild, das wirkt, je länger man es betrachtet:

(Bild: Kunstmuseum Bern, Ausschnitt)

Und auch weibliche Haut setzte Stauffer-Bern so realistisch in Szene, das man glaubt, diesen Busen auf der Leinwand beben zu sehen. Prickelnd:


7. Die Belgierin Berlinde de Bruyckere fertigt Wachsabdrücke von Extremitäten und arrangiert sie zu geschundenen Skulpturen, die in uns Schmerz-Assoziationen wecken (zumal das Arbeitsmaterial wie geschliffene Menschenknochen schimmert). Das ist zwar unbequem zum Betrachten, hallt aber nach:

(Bild: blog.artsper.com)

8. Zum Schmunzeln, das sind die Kurzfilme des Amerikaners William Wegman:


9. Jetzt mal etwas, was uns wirklich auf die Palme bringt: Tea-Room-Kunst. Spezifisch in Tea Rooms ausgestellte Kunst, die mit Preisschildern versehen ist. Nicht, weil wir der Meinung sind, Tea-Room-Künstler sollten gratis arbeiten. Sondern weil wir der Meinung sind, dass eine Pasta-Collage nie 6000 Franken wert ist. NIE.

(Wir verzichten aus Pietätsgründen auf eine Illustration)

10. Präraphaeliten und Symbolisten! Weil deren Kunst einfach so schön trieft vor Melancholie. Man könnte sagen, dass sie die Visualisierung von Saybia ist. Oder von Anathema. Hier stellvertretend ein Gemälde des Briten Frederic Leighton (oben) und des Schweizers Ernest Biéler (unten):

 
(Bilder: wikipedia.com/Kunstmuseum Bern)

11. Ein wundervoller Kunstmoment: Vor William Turners "Sunrise, with a Boat between Headlands" stehen und so lange ins Weiss starren, bis sich die dahinterliegende Landschaft in ihrem Detailreichtum preisgibt. Quasi "Wo ist Walter?", bloss mit dem Sujet:

(Bild: wikipaintings.org)

12. Ein Klassiker, um nicht zu sagen ein Klischee, aber halt ein Bild, das Gefühle auslöst. Die Kultusse ist immer ein wenig peinlich berührt, wenn sie Gustave Courbets "L'Origine du monde" sieht. Ich meine, seien wir mal ehrlich: Diese angedeuteten Krampfadern sind wirklich too much!

(Bild: wikipedia.com)

13. Eine Begegnung hat die Kultusse besonders geprägt: Giovanni Manfredini. Der italienische Künstler erlitt im Kindesalter schwere Verbrennungen. Seinen vernarbten Körper presst er gegen mit Russ bearbeitete Leinwände und schafft so "Körperabzüge", die Leid und zugleich Erotik ausstrahlen, aber auch mit der christlichen Ikonografie spielen. Intensive Bilder, die sich im Gedächtnis einnisten:

(Bild: artnet.com)

14. Die Kultusse ist ja Arachnaphobikerin. Entsprechend steigt ihr Adrenalinspiegel unangenehm an, wenn sie "Maman" von Louise Bourgeois sieht. Rezept gegen Kunstfrigidität: Ein Werk suchen, das die eigenen Ängste thematisiert. Hier zur Anschauung ein Bild, auf dem die Kultusse heroisch vor der Eisenspinne posiert:


15. Im Kiasma Museum Helsinki entdeckte die Kultusse Markus Coppers "Archangel of Seven Seas" eine raumfüllende Skulptur aus Holz und alten Kirchenorgel-Schläuchen in der Form eines Wals. Ein Motor versetzt das Werk leicht in Bewegung beziehungsweise pumpt Luft durch die Orgelschläuche. Das Resultat: Ein sonorer Klangteppich, der an Walgesang erinnert. Die Kultusse ist kein Wal-Fan oder so, aber irgendetwas rührte sie wahnsinnig an diesem Werk. Da schaffte es ein Künstler, ein Werk zum Leben zu erwecken. Die Königsdisziplin.

(Bild: blog.visithelsinki.fi)

Das war unsere kleine Tour de l'Art. Wir könnten ewig so weitermachen. Hier auch noch ein schönes Beispiel. Ach, und das. Und das... So, fertig jetzt, wirklich!

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