Mittwoch, 16. Februar 2011

"Ich versteh davon zu wenig"


Kein Ottonormalverbraucher hat Schwierigkeiten zu sagen, dass ihm ein bestimmter Song gefällt: „Der Refrain ist so schön.“ Jeder hat Argumente dafür, warum ihm ein bestimmter Film so gefallen hat: „Er war spannend und überzeugend gespielt.“ Und auch ein gutes Buch ist schnell umschrieben: „Ich konnte mich mit der Protagonistin identifizieren.“ 
Alles ganz einfach, so scheint es. Doch bei der Kunst ist die Lage etwas anders. Auf die Frage, ob jemandem ein bestimmtes Kunstwerk gefällt, erhält man oft zur Antwort: „Keine Ahnung, ich verstehe davon zu wenig.“ Warum haben Menschen, die sich selber als Kunstbanausen bezeichnen, nicht den Mut, über ein Werk zu urteilen? Dabei darf doch jeder – gleichgültig, was der Kunstbetrieb dazu sagt – einen Picasso als zu hässlich, einen Kandinsky als zu farbig oder einen Turner als zu kitschig erachten.
Womöglich liegt das Problem in der Natur der Kunst selbst: Oftmals erklärt sie sich aus einem Konzept heraus und berührt den Betrachter über dessen Intellekt – weniger über sein Herz, wie es beispielsweise die Musik tut. Dies würde erklären, warum die Museumsbesucher beim Anblick eines prächtigen Böcklins nicht gleich in Tränen ausbrechen, sondern sich höchstens zu einem anerkennenden Nicken hinreissen lassen.
Womöglich ist die Kunst heute auch nicht mehr die adäquate Form, positive Emotionen zu wecken. Früher versetzte der Anblick von Tizians nackter Venus die männlichen und (!) weiblichen Betrachter in sexuelle Ekstase – heute, da jede Unterhosenfirma mit nackten Brüsten wirbt, ist der Betrachter wohl etwas abgestumpfter.
Ein Wehrmutstropfen: Kunst kann auch heute noch negative Emotionen wecken, und wie! Wehe der Künstler Martin Kippenberger nagelt einen Gummifrosch an ein Kreuz, dann hagelt es sogleich Kritik aus der christlichen Ecke. Wenn das Kunstmuseum Bern einen in Formaldehyd eingelegten Fötus ausstellt, wie 2005 bei „Mahjong“, laufen die Moralisten Sturm. Und Hirschhorns Blocher-Attacke löst noch heute Diskussionen über Subventionskürzungen aus. 
Am Ende ist dies ja vielleicht die Hauptaufgabe der Kunst: Weniger zu gefallen, dafür umso mehr aufzuregen und durch angeregte Diskurse die Gesellschaft weiterzubringen.

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