Wie eine Gefängnisaufseherin schiebt sie Aufsicht – oder besser: schiebt Wache. Vor Betreten der Ausstellung misst sie genau nach, ob Ihre Handtasche nicht fünf Millimeter zu lang ist. Auf Ihr Bitten, ein Auge zuzudrücken, geht Sie nicht ein und schickt Sie stattdessen zurück zu den Schliessfächern. Sind Sie erst einmal im Museumsraum angelangt, lässt sie Sie keinen Moment aus den Augen – was ihr nicht sonderlich schwer fällt, denn mit grosser Wahrscheinlichkeit sind Sie um diese Uhrzeit der einzige Besucher. Beugen Sie sich etwas vor, um ein Gemälde aus der Nähe zu betrachten, räuspert sie sich. Die erste Warnung. Verharren Sie weiter in Ihrer Haltung, tritt sie näher an Sie heran, wobei ihre Absätze drohend hallen. Die zweite Warnung. Bleiben Sie weiter vor dem Bild stehen, fordert Sie die Aufsicht auf, einen Schritt zurück zu treten. Die letzte Warnung vor der Museumssperre. Der Erklärungsversuch „Aber ich habe das Absperrband nicht einmal berührt“, nützt nichts. Ihr Blick habe sich zu nah an das Bild herangewagt, verrät Ihnen der Gesichtsausdruck der Aufseherin. Spätestens ab jetzt folgt sie Ihnen auf Schritt und Tritt. Ihre Atemfrequenz steigt an, während Sie hastig von Bild zu Bild eilen – immer verfolgt von den penetrant hallenden Absätzen. Tock – tock – tock. Das Geräusch jagt Sie durch die Räume, bis Sie schliesslich den Ausgang vor Augen haben. Beschützend umflutet Sie das Neonlicht in der Empfangshalle. In aller Ruhe können Sie sich dort die ausgestellten Gemälde zu Gemüte führen – bei der Lektüre des Ausstellungskatalogs.
PS: Selbstverständlich gibt es von dieser Sorte in der freien Museumswildbahn auch männliche Exemplare!
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