Mittwoch, 4. Januar 2012
Rumpelstilzchen krönt Obrist
Ein Buchstabenrätsel lud zum Gespräch mit dem Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist, dem laut dem britischen Magazin Art Review 2. wichtigsten Mann der Kunstwelt.
Die Techniker hatten zuerst mächtig Stress mit dem Beamer. Als Christian Herren von der Galerie Eletto endlich neben seinem Gast Hans Ulrich Obrist Platz nehmen konnte, sprang ein fuchsteufelswildes Rumpelstilzchen in Strumpfhosen auf die Bühne, klebte sich mit Klebeband den Mund zu, stürzte auf Herren und Obrist zu und krönte die beiden mit einer Königskuchen-Krone. Message: Ihr benehmt euch wie Könige und wollt anderen den Mund verbieten. Dahinter stecke die Marks Blond Galerie, erklärte Herren später und nahms gelassen. Er habe in einem offenen Brief die Beteiligung des Off Spaces an der diesjährigen Weihnachtsausstellung "Cantonale" kritisiert und dies sei nun wohl die Antwort darauf gewesen. Doch warum wurde der arme Obrist gleich mitgekrönt?
Vielleicht weil er tatsächlich so etwas wie ein König der Kunstwelt ist. Der Mann erzählte scheinbar ohne Atempause aus seinem spannenden Leben. Die Kultussen protokollierten fleissig und geben nun für alle, die gestern keinen Platz in der Turnhalle fanden, ein paar tolle Zitate wieder:
"In den frühen Neunzigerjahren war Kuratieren etwas Obskures. An der Uni dachte man 'Kurator' sei ein medizinischer Begriff. Heute wird der Begriff inflationär gebraucht. Köche, Präsidenten, Manager und Rapper kuratieren. Ein Journalist bezeichnete Barack Obama als Chief Curator der Bush Dynasty."
"Ich bin 1968 geboren. Als ich 1986 erstmals das Atelier von Fischli und Weiss besuchte, war das meine zweite Geburt."
"Was fehlt, muss man machen. Bücher, die fehlen, müssen geschrieben werden. So bin ich Autor geworden."
"Die Vergangenheit des Kuratierens interessiert mich nicht aus nostalgischen Gründen. Sie dient mir als Werkzeugkiste."
"Es ist mir ein Anliegen, die Brücke zwischen Literatur und Poesie und der Kunst wieder herzustellen."
"Ein Museum soll ein Ort der Transformation und nicht ein Hort der Objekte sein. Eine gute Institution hat die Wirkung eines Kraftfeldes."
"Im Trialog - To see someone with someone else- So haben viele spannende Ausstellungsprojekte ihren Anfang genommen."
"Jede Ausstellung kann eine andere Ausstellung beherbergen. So bespielte etwa ein Künstler in meiner ersten Ausstellung, die in meiner Küche stattfand, den Kühlschrank. Es ist wie bei diesen russischen Puppen, den Matrjoschkas."
"Harald Szeemann sagte immer, er sei ein Generalist."
"Während fünf Jahren bin ich jede Nacht mit dem Nachtzug in eine andere Stadt gefahren und habe mir tagsüber Ausstellungen angeschaut. Eine Grand Tour war das."
"Heute gibt es kein Kunst-Zentrum mehr. Das 21. Jahrhundert ist eine Polyphonie. Ich würde heute nicht mehr den Nachtzug nehmen, sondern nach Delhi oder Brasilien gehen. Ein Künstler muss nicht mehr nach Paris oder New York. Wir sind von diesem Zwang befreit."
"Wir brauchen wieder mehr Rituale. Eines meiner Rituale besteht darin, jeden Tag ein Buch zu kaufen."
Ein Blick ins Publikum beweist: Die Obrist-Jünger sehen irgendwie unheimlich aus. Oder hat das Marks Blond Rumpelstilzchen die verhext?
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